Es ist schon erstaunlich: Zwar verkünden die großen Redelehrer seit der Antike, dass alle, die eine Rede halten, das Ziel haben sollten, die Zustimmung ihres Publikum zu erlangen. [1] Die deutlichsten Zeichen dafür sind Applaus und Beifallsrufe. Und dennoch haben sie durch die Jahrhunderte diesen Publikumsreaktionen kaum Beachtung geschenkt.
Erst in den späten 1970er Jahren haben sich einzelne Wissenschaftler:innen, vor allem aus dem Fachgebiet der Soziologie, im Rahmen von Kommunikationsanalysen systematisch der Frage zugewandt, wann ein Publikum Beifall klatscht. [2] Als Untersuchungsgegenstände wählten sie Beispiele aus der heutzutage häufigsten Art von öffentlicher Rede, der politischen Rede, besonders auf Parteitagen. Der führende und bis heute impulsgebende Forscher auf diesem Gebiet ist der Brite Max Atkinson. [3] Von Haus aus Soziologe, ist er über seine Untersuchungen zu einem äußerst erfolgreichen Redenschreiber und Redelehrer geworden. [4]
Ausgerüstet mit Kamera und Mikrofon hat Max Atkinson über Jahrzehnte hinweg politische Reden aufgezeichnet und im Hinblick darauf untersucht, was genau das Publikum mit Akklamationen bedenkt. Seine Erkenntnis: Es sind nicht allein die Inhalte. Ausschlaggebend für Applaus sind vor allem drei rhetorische Mittel. [5]
Gegensätze und Kontraste sind seit der Antike bei Rednerinnen und Rednern ein äußerst beliebtes Mittel, um im Hinblick auf den Redegegenstand die eigene Position deutlich herauszustellen [6] – immer mit der Struktur „Ich meine nicht dies, sondern jenes“. Klarer geht es nicht. Kein Wunder, dass derartige Oppositionen bei der Zuhörerschaft sehr gut ankommen.
Deutliche Gegenüberstellungen erreichen wir vor allem, wenn wir Wort-Gegensatzpaare verwenden – in allen Wortarten: bei Substantiven: Glück/Unglück, Gesundheit/Krankheit, Anfang/Ende; bei Verben: fragen/antworten, angreifen/verteidigen, suchen/finden; bei Adjektiven: heiß/kalt, hell/dunkel, wahr/falsch; bei Adverbien: schnell/langsam, immer/nie, ehrlich/unehrlich; bei Pronomen: über/unter, früher/später, vor/hinter usw.
Zu den Gegensätzen und Kontrasten zählen im weiteren Sinne auch Vergleiche. Die entsprechende Argumentationsstruktur: „Lieber dies, als jenes“.
Eine besonders raffinierte Form der Gegenüberstellung von Gegensätzen ist die Satzumkehrung, die sogenannte Stammüberkreuzung oder Antimetabolè [7]: „Wir leben nicht, um zu essen, sondern essen, um zu leben.“ – ein Satz, der Sokrates zugeschrieben wird. [8] Erst kürzlich war eine solche Antimetabolè in der Inauguralrede von Joe Biden zu hören, als er offenlegte, wie seiner Meinung nach die USA künftig in der Welt wirken sollten: „not merely by example of our power, but the power of our example.“ [9] Der Applaus danach war ihm sicher.
Redenrinnen und Redner können mit überlegten Formulierungen die Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörer wecken: durch Sätze, mit denen sie in ihrem Auditorium erst Erwartungen wecken und dann erfüllen. Ein berühmtes Beispiel dafür stammt von Margaret Thatcher, die in ihren späten Jahren (2001) noch einmal auf einem Parteitag der Tories auftrat, um sich im damaligen Wahlkampf zu positionieren. Die Rede ist als „Mumien-Rede“ in die Geschichte der britischen Konservativen eingegangen. Die Bezeichnung geht auf eine selbstironische Bemerkung Thatchers zu Beginn ihrer Rede zurück – sauber gegliedert in einen Vorsatz (V), mit dem sie Erwartungen weckt und einen Nachsatz (N) mit überraschender Lösung: (V): On my way here I passed a local cinema and it turned out you were expecting me after all, (N): …for the billboards read: ‚The Mummy returns‘.“ [10] Die Reaktion ihrer Zuhörerschaft auf diese selbstironische Einlassung war überwältigend und ist bis heute unvergessen, anders als der Film, auf den sie sich bezog. [11]
Auch rhetorische Fragen eignen sich hervorragend dazu, ein Publikum zu aktivieren. Aus unserer täglichen Gesprächspraxis heraus sind wir so konditioniert, dass wir das Gefühl haben, auf Fragen antworten zu müssen, die uns gestellt werden. Oft sind rhetorische Fragen so formuliert, dass sie keiner Antwort bedürfen. Aber sie können Vortragenden auch dazu dienen, bei ihren Zuhörern Aufmerksamkeit zu wecken und sie dazu zu bringen, ihren im Anschluss an die Frage ausgebreiteten Gedankengängen genauer zu folgen. Wenn den Zuhörerinnen und Zuhörern die Argumentation schlüssig erscheint, spenden sie in solchen Fällen gerne Applaus.
Es ist eine alte rhetorische – und heute in deren Folge auch eine wichtige journalistische – Regel: Wenn eine Aufzählung, dann am besten mit drei Elementen. Der Grund: Wir können drei Elemente besonders gut aufnehmen. Die Zahl ist überschaubar und vermittelt uns zugleich ein Gefühl von Vollständigkeit. [12] Zwei gleichgeordnete Elemente empfinden wir Menschen als zu wenig, und vier empfinden wir als zu viele. Die Trias wirkt abgerundet, durchdacht und überzeugt uns häufig auch rhythmisch. Und das selbst dann, wenn, wie in diesem Satz eben, das dritte Element etwas länger ist.
Nicht zuletzt deshalb hat sich die Dreizahl auch bei der Formulierung politischer Programme durchgesetzt, allen voran bei jenem der Französischen Revolution „Liberté, Égalité, Fraternité“. [13] Und auch Abraham Lincoln bediente sich, als er in seiner Gettisburg Address das US-Amerikanische Regierungssystem heraufbeschwor, einer Trias: „that Government of the people by the people for the people“. Der Satz wird bis heute zitiert.
Eine der berühmtesten Reden des 20. Jahrhunderts ist die Ansprache von John F. Kennedy zu seiner Amtseinführung als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika am 20. Januar 1961. [14] Dafür gibt es gute Gründe. John F. Kennedy hatte seinem Redenschreiber Ted Sorensen und seinem Team den Auftrag erteilt, herauszufinden, was sich in den Reden seiner Amtsvorgänger als besonders einprägsam erwiesen und Beifall gefunden hatte. [15] Die Erkenntnisse dieser Untersuchung flossen in die Gestaltung seiner Inaugural Address ein. Sie brachte Kennedy den gewünschten Erfolg – auch im Hinblick auf die hier vorgestellten rhetorischen Verfahren: Von den 13 Zwischenapplausen, die Kennedy beim Vortrag seiner Rede erhielt, sind neun auf die hier vorgesellten rhetorischen Mittel zurückzuführen. Die übrigen vier sind: die Reaktion auf eine überraschende Anspielung auf einen damals kursierenden Limmerick [16]: ein Feedback auf einen Call to action [17]; die begeisterte Aufnahme eines Versprechens von Seiten Kennedys, sich, so schwer diese Aufgabe auch sei, für die Freiheit in der Welt einzusetzen [18]; und die Reaktion auf ein gekonnt eingesetztes Bibelzitat. [19]
In der heißen Phase des Kalten Krieges ist es nicht verwunderlich, dass in Kennedys Rede vor allem Gegensätze eine wichtige Rolle spielen. Beifall erhält er hier vor allem dafür, dass er im Namen seiner Generation von US-Amerikanern für die Menschenrechte eintritt. Seine jungen Landsleute sind, wie er sagt, wie er „unwilling to witness or permit the slow undoing of those human rights to which this nation has always been committed, and to which we are committed today at home and around the world.“ Für diese deutlich herausgearbeitete Haltung erhält er auch an zwei weiteren Stellen seiner Rede Zustimmung. Einmal, als er erklärt, dass sich die Vereinigten Staaten unter seiner Führung gegen jede „aggression or subversion anywhere in the Americas“ zu Wehr setzen und eine klare Position einnehmen werden, was in der Aussage gipfelt: „And let every other power know that this Hemisphere intends to remain the master of its own house.“ Und ein weiteres Mal findet er Beifall, als er mit einer wortspielerischen Wendung erklärt, dass die Massenvernichtungswaffen der Kontrolle bedürfen, es also darum geht „[to] bring the absolute power to destroy other nations under the absolute control of all nations.“
Wie hier setzt Kennedy auch an einer anderen Stelle seiner Rede noch einmal auf ein Wortspiel mit Gegensatzpaaren, das ihm abermals Applaus von seiner Zuhörerschaft einbringt. Er spricht dort von seiner Überzeugung, dass eine Gesellschaft auch wirtschaftlich stark sein müsse, um wirklich in Freiheit leben zu können, denn „if a free society cannot help the many who are poor, it cannot save the few who are rich.“
Eine besondere Vorliebe zeigen Kennedy uns sein Redenschreiber Ted Sorensen zudem für Satzumkehrungen, von denen sie in der knapp fünfzehnminütigen Rede gleich drei unterbringen, die allesamt mit großem Beifall bedacht werden. Zunächst der Aufruf: „Let us never negotiate out of fear. But let us never fear to negotiate.“ Noch größeren Applaus bringt Kennedy aber sein berühmter Appell an seine Mitbürger zu bürgerschaftlichem Engagement ein, dem er eine ähnlich gelagerte Aufforderung an die Weltbevölkerung folgen lässt – in beiden Fällen mit einer starken Betonung von Gegensätzen: „And so, my fellow Americans: ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country. My fellow citizens of the world: ask not what America will do for you, but what together we can do for the freedom of man.“
Während Kennedy beim Aktzentuieren von Gegensätzen und bei den Satzumkehrungen geradezu vorbildhaft verfährt, durchbricht er bei Aufzählungen die überkommene Regel vom Ideal der Dreigliedrigkeit. Allerdings tut er dis mit einer deutlichen Absicht, die vom applaudierenden Publikum auch sofort instinktiv erfasst und gutgeheißen wird: Er will die Größe und Vielfalt der Aufgaben vor Augen führen, denen sich die Vereinigten Staaten gegenüber sehen und denen sie sich in seinen Worten zu stellen bereit sind: „Let every nation know, whether it wishes us well or ill, that we shall pay any price, bear any burden, meet any hardship, support any friend, oppose any foe to assure the survival and the success of liberty.“
Erfolgreiche Rednerinnen und Redner haben etwas zu sagen, aber sie wissen auch, wie sie es zu sagen haben. Ein paar Elemente aus der rhetorischen Trickkiste sind immer dabei. Wenn wir wie sie unsere Gedanken von anderen deutlich absetzen, wenn wir Erwartungen erst wecken und dann erfüllen und Fragen stellen und beantworten und wenn wir Aufzählungen gut strukturieren, ist der Erfolg nicht fern.
[1] Dazu der Überblick bei W. Mesch: Überredung, Überzeugung. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Herausgegeben von Gert Ueding. Band 9. Tübingen 2009, Sp. 858-870, hier besonders: Sp. 862f. – [2] Dazu: John Heritage, J. Maxwell Atkinson: Introduction . In: J. Maxwell Atkinson, John Heritage (Hrsg.): Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis. Cambridge 1984, S. 1-15. – [3] Grundlegend: Max Atkinson: Our Masters‘ Voices. The language and body language of politics. London-New York 1984. Darauf aufbauend: John Heritage, David Greatbatch: Generating Applause. A Study of Rhetoric and Response at Party Political Conferences. In: American Journal of Sociology 92 (1986), S. 110-157. – [4] Max Atkinson: Lend Me Your Ears. All You Need to Know about Making Speeches and Presentations. London 2004. Ein sehr empfehlenswertes Lehrwerk für das Schreiben von Reden und die Gestaltung von Präsentationen. – [5] Eine gute Summe seiner Erkenntnise in: Lend Me Your Ears (siehe Anm. 4), Kap. 6, S. 177-214. – [6] Aristoteles: Rhetorik, 1409b33ff.; Auctor ad Herennium IV.15,21; Quintilian: Instittio oratoria IX.3,81. – [7] Quintilian: Institutio oratoria, IX.3,85. – [8] Zitiert von Quintilian (siehe vorige Anmerkung) und ursprünglich bei Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. II.5,34. Hamburg 1998, S. 90: „Die anderen Menschen, pflegte er zu sagen, leben, um zu esse; er aber esse, um zu leben.“ – [9] Zu Bidens Rede nähere Informationen hier – [10] Margaret Thatchers Rede (Conservative Election Rally in Plymouth May 22nd 2001) auf Youtube. Die zitierte Stelle bei Timecode 01:05ff. – [11] The Mummy Returns (dt.: Die Mumie kehrt zurück), USA 2001, Regie: Stephen Sommers. Bei dem Film handelt es sich um eine Fortsetzung des Films Die Mumie, USA 1999. – [12] Heinrich Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. Dritte Auflage. Mit einem Vorwort von Arnold Arens. Stuttgart 1990, § 443 (a), S. 242 und 669-674 (enumeratio). – [13] Dazu: Mona Ozouf: Liberté, égalité, fraternité. In. Les lieux de mémoire. Sous la direction de Pierre Nora. Bd. 3, S. 4555-4587. – [14] Das Manuskript der Rede und das Video der Rede. – [15] Zu den Hintergründen der Rede: Thurston Clarke: Ask Not. The Inauguration of John F. Kennedy and the Speech that Canged America. New York 2004. – [16] Kennedys Aussage „Wes hall always … remember that, in the past, those who foolishly sought power by riding the back of the tiger ended up inside.“ Speilt auf einen Limerick an: „There was a young Lady of Niger / who smiled as she rode on a tiger; / They returned form the ride / With the lady inside / And the smile on the face oft he tiger.“ – [17] Der Applaus folgt auf folgenden Abschnitt mit einem Call to action: „All this will not be finished in the first one hundred days. Nor will it be finished in the first one thousand days, nor in the life of this Administration, nor even perhaps in our lifetime on this planet. But let us begin.“ – [18] Applaus nach Kennedys versprechen: „I do not shrink from this responsibility–I welcome it.“ – [19] Jesajah 58,6: „undo the heavy burdens . . . (and) let the oppressed go free.“
Max Atkinson: Lend Me Your Ears. All You Need to Know about Making Speeches and Presentations. London 2004. – Max Atkinson: Our Masters‘ Voices. The language and body language of politics. London-New York 1984. – J. Maxwell Atkinson, John Heritage (Hrsg.): Structures of Social Action. Studies in Conversation Analysis. Cambridge 1984 . – Thurston Clarke: Ask Not. The Inauguration of John F. Kennedy and the Speech that Canged America. New York 2004. – John Heritage, David Greatbatch: Generating Applause. A Study of Rhetoric and Response at Party Political Conferences. In: American Journal of Sociology 92 (1986), S. 110-157.