Wenn wir von einer Verschwörung sprechen, meinen wir damit eine geheime Verabredung mehrerer Personen zu einer Unternehmung, die gegen Dritte gerichtet ist. Weil eine Grundvoraussetzung für eine Verschwörung ein Interessenskonflikt mit anderen ist, kann man davon ausgehen, dass es Verschwörungen gibt, seitdem Menschen in Gemeinschaften zusammenleben.
Da Verschwörungen im Geheimen ausgemacht werden, erfordern sie absolute Verschwiegenheit von allen Beteiligten. Das ist ihr großer Schwachpunkt. Ungezählt sind die Verschwörungen, die aufgeflogen sind, weil die Verschworenen selbst sie – häufig durch Unachtsamkeit – verraten haben. Der italienische Historiker und Philosoph Niccolò Machiavelli (1469-1527) hat dieses Phänomen durch die Geschichte verfolgt und ihm eine grundlegende Studie gewidmet. [1] Sein Fazit: Es ist besser, von Verschwörungen Abstand zu nehmen, denn sie gehen meistens schief. [2] Sein nicht minder historisch und politisch gebildeter Zeitgenosse Francesco Guicciardini (1483-1540) sah das ebenso. [3] Wer verhindern will, dass eine Verschwörung verraten wird, erklärt er, muss so viel Aufwand treiben, dass er das Gegenteil von seinem Vorhaben erreicht. Denn je mehr Menschen einbezogen werden, je mehr Zeit dadurch verstreicht, desto wahrscheinlicher ist es, dass andere Wind von dem Vorhaben bekommen. Diese Diagnosen haben bis heute Bestand.
Verschwörungen sind für alle Beteiligten mit einem erheblichen Risiko verbunden: Wenn die Verschwörer entdeckt werden, hat das für sie schwerwiegende Folgen. Entsprechend vorsichtig müssen sie zu Werke gehen. Möchte man Interessen durchsetzen, sind Verschwörungen nicht gerade das Mittel der Wahl. Dennoch ist in politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen auffällig häufig von Verschwörungen die Rede. Oft ist dies Ausdruck eines Misstrauens anderen Menschen gegenüber. Nur selten handelt es sich nämlich bei den Berichten von Verschwörungen um konkrete Beispiele. In den meisten Fällen werden Vermutungen geäußert oder Behauptungen aufgestellt, dass sich Menschen zusammengetan haben, vor allem, um anderen zu schaden.
Der Begriff, der in diesem Kontext am häufigsten fällt, ist ‚Verschwörungstheorie‘. Er findet in unterschiedlichen Bedeutungsumfängen Verwendung.
(1) Zunächst die allgemeine Bedeutung: ‚Theorie‘ bezeichnet bekanntermaßen eine durch Denken gewonnene Erkenntnis, die in der Realität noch als wahr erwiesen werden muss. Wer von einer ‚Verschwörungstheorie‘ spricht, macht damit also deutlich, dass es sich dabei um ein Gedankenkonstrukt handelt, dessen Existenz in der Wirklichkeit noch nicht bewiesen wurde. In diesem Sinne gilt: Verschwörungstheoretiker sind Menschen, die von Verschwörungen sprechen, ohne für diese konkrete Beweise zu erbringen.
(2) Im engeren Sinn findet der Begriff ‚Verschwörungstheorie‘ für eine bestimmte Art und Weise Verwendung, Vorgänge in der Welt zu erklären. Der österreichisch-britische Philosoph Karl Popper sieht in „conspiracy theories“ – die Wortprägung geht auf ihn zurück –ein typisches Produkt der europäischen Aufklärung. Er erklärt sie als „Ergebnis der Verweltlichung religiösen Aberglaubens.“ [4] Mit der Aufklärung, erläutert Popper, sei das Vertrauen vieler Menschen in den göttlichen Heils- und Schöpfungsplan verloren gegangen und dadurch bei ihnen ein Sinn- und Erklärungsdefizit entstanden. Wie nämlich sollten sie sich bestimmte Ereignisse – das Auftreten von Naturkatastrophen und Seuchen – ohne ein göttliches Wirken erklären? Da die Menschen hier Chaos und Zufall nicht akzeptieren wollten, hielten sie am religiösen Erklärungsmuster fest, nahmen an diesem jedoch bestimmte Veränderungen vor. An die Stelle der „homerischen Götter“ traten für sie, wie Popper erklärt, „mächtige Männer…, deren unheilvolle Absichten für alle Übel verantwortlich sind.“ [5] Verschwörungstheoretiker im Sinne Poppers sind also Menschen, die alles Unheil in der Welt auf das Handeln von übel gesinnten Menschen zurückführen. Krankheiten, Seuchen, ja sogar Naturkatastrophen wie Dürren oder Erdbeben führen sie auf das Handeln von Personen zurück, die in ihren Augen davon einen persönlichen Vorteil haben.
‚Verschwörungstheoretiker‘ oder ‚Verschwörungstheoretikerin‘ ist immer eine Fremdzuschreibung. Die Bezeichnungen benutzen Menschen für ihre Mitmenschen, deren Behauptungen über Verschwörungen sie skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Viele von ihnen lehnen die Begriffe ‚Verschwörungstheorie‘ und ‚Verschwörungstheoretiker‘ allerdings zunehmend ab. [6] Ihr Argument: Wenn wir von ‚Theorie‘ sprechen, werten wir etwas – gewissermaßen als wissenschaftlich – auf, was in Wirklichkeit nicht einmal das Produkt von Denken ist, sondern nur eine Behauptung darstellt oder Ausdruck einer vagen Meinung ist.
‚Verschwörungsmythos‘ steht für Verschwörungsannahmen, die bereits in das Bewusstsein breiterer Kreise einer Gesellschaft Einzug gehalten haben. [7] Sie sind dem größeren Komplex ‚politischer ‚Mythen‘ zuzurechnen. [] Wie die religiösen Mythen der Antike bieten politische Mythen sinnstiftende Erzählungen, die dazu dienen, unbekannte oder nur schwer fassbare Phänomene einfach zu erklären. [8] Bekannte Verschwörungsmythen sind die fiktiven Weltverschwörungen der Freimaurer oder der Juden.
Eine Verschwörungsideologie ist – ähnlich dem Verschwörungsmythos – eine Ansammlung von Annahmen und Wertungen über vorgebliche Verschwörungen. Sie dient besonders dazu, bestimmte politische und wirtschaftliche Ziele zu erreichen, also etwa bestimmte Personen oder Personengruppen zu diffamieren und/oder auszugrenzen.
Von einer Verschwörungsmentalität ist dann die Rede, wenn eine Person eine Neigung dazu hat, Berichten über Verschwörungen Glauben zu schenken, wie gut oder schlecht auch immer sie begründet sein mögen.
Mit dem Begriff Verschwörungserzählung bezeichnet man den Bericht über eine Verschwörung, wobei dem Wahrheitsgehalt der Darstellung keine besondere Beachtung geschenkt wird. Eine Verschwörungserzählung kann durchaus wahre Elemente enthalten, aber ebenso Erfundenes. In Verschwörungserzählungen finden sich wie bei Verschwörungstheorien reale und fiktionale Elemente in bunter Mischung. Der Begriff wird daher häufig als terminologische Alternative zu ‚Verschwörungstheorie‘ verwendet.
Im Zusammenhang mit Verschwörungen sind zahlreiche Begriffe im Umlauf. Besonders bei der Verwendung von ‚Verschwörungstheorie‘ sollten wir differenzieren: Sprechen wir generell von unbewiesenen Theorien über Verschwörungen? Oder meinen wir im Sinne von Karl Popper (ebenso unbewiesene) Theorien, mit denen alles Unheil in der Welt dem Handeln von übel gesinnten Menschen zugeschrieben wird? Es ist unverfänglicher, von ‚Verschwörungserzählungen‘ zu sprechen.
Mehr zum Thema Verschwörungserzähungen und wie wir sie erkennen können gibt es hier.
[1] Niccolò Machiavelli: Discorsi sulla prima Deca di Tito Livio [Abhandlungen über die ersten zehn Bücher von Titus Livius] III.6: Delle congiure. (Über die Verschwörungen). Machiavellis Warnung in Sachen Verschwörung: „è difficile e pericolosissima in ogni sua parte“ („sie ist schwierig und in jeder Hinsicht höchst gefährlich“) gleich zu Beginn des Kapitels. Zu Verschwörungen in Machiavellis Gesamtwerk: Elena Fasano Guarini: Congiure „contro alla patria“ e congiure „contro ad un principe“ nell’opera di Niccolò Machiavelli. In: Complots et conjurations dans l’Europe moderne. Actes du colloque international organisé à Rome, 30 septembre-2 octobre 1993 à l‘École Française de Rome (= Publications de l’École française de Rome, 220). Rom 1996, S. 9-53. – [2] Machiavelli: Discorsi (wie Anm. 1): „Acciocché, adunque, i principi imparino a guardarsi da questi pericoli, e che i privati più timidamente vi si mettino, anzi imparino ad essere contenti a vivere sotto quello imperio che dalla sorte è stato loro proposto.“ Meine Übersetzung: „Deswegen also sollten die Fürsten lernen, sich vor diesen Gefahren in Acht zu nehmen und die Privatleute sollten sich zurückhalten, mehr noch: zufrieden damit sein, unter der Herrschaft zu leben, die das Schicksal über sie gestellt hat.“ – [3] Francesco Guicciardini: Ricordi/Merksprüche (in meiner bislang noch unveröffentlichten Übersetzung): Ricordo 19: „Man kann Verschwörungen nicht ohne die Zusammenarbeit mit anderen machen, und deshalb sind sie gefährlich. Denn da die Mehrzahl der Menschen unklug oder dem Schlechten zugeneigt ist, läuft man zu sehr Gefahr, wenn man sich mit Personen dieser Art verbindet.“ Ricordo 20: „Für den, der will, dass seine Verschwörungen ein glückliches Ende nehmen, gibt es nichts, was dem mehr entgegenstehen würde, als sie sehr gut absichern und ihren Ausgang fast sicher machen zu wollen. Denn wer dies machen will, muss mehr Menschen mit einbeziehen, mehr Zeit aufwenden und mehr günstige Gelegenheiten abwarten, was alles dazu führt, dass die Verschwörung entdeckt wird. Und deshalb beachtet, wie gefährlich die Verschwörungen sind […].“ – [4] Karl Popper: Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen. Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2. Herausgegeben von Hubert Kiesewetter, übersetzt von Paul K. Feyerabend. Tübingen 2003 [urspr. 1945], S. 112. – [5] Ebd., S. 112. – [6] Katharina Nocun, Pia Lamberty: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln 2020, S. 21. – [7] Ebd., S. 22. – [8] Zum Konzept des Politischen Mythos: Frank Becker: Begriff und Bedeutung des politischen Mythos. In: Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2005, S. 129–148. Heidi Hein-Kircher: Überlegungen zu einer Typologisierung von politischen Mythen aus historiographischer Sicht – ein Versuch, in: dies., Hans Henning Hahn (Hrsg.): Politische Mythen im 19. und 20. Jahrhundert in Mittel- und Osteuropa, Marburg 2006, S. 407 – 424.
David Aaronovitch: Voodoo Histories. How Conspiracy Theory has Shaped Modern History. London 2010. – Michael Butter: ‚Nichts ist wie es scheint.‘ Über Verschwörungstheorien. 4. Auflage. Berlin 2020. – Elena Fasano Guarini: Congiure „contro alla patria“ e congiure „contro ad un principe“ nell’opera di Niccolò Machiavelli. In: Complots et conjurations dans l’Europe moderne. Actes du colloque international organisé à Rome, 30 septembre-2 octobre 1993 à l‘École Française de Rome (= Publications de l’École française de Rome, 220). Rom 1996, S. 9-53. – Dieter Groh: Die verschwörungstheoretische Versuchung oder: Why do bad things happen to good peolpe? In: ders.. Anthropologische Dimensionen der Geschichte. Frankfurt am Main 1992, S. 267-304. – Karl Hepfer: Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Bielefeld 2015. – Katharina Nocun, Pia Lamberty: Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln 2020. – Daniel Pipes: Conspiracy. How the Paranoid Style Flourishes and Where it Comes From. New York 1997. – Karl Popper: Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen. Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2. Herausgegeben von Hubert Kiesewetter, übersetzt von Paul K. Feyerabend. Tübingen 2003 [urspr. 1945].