Verschwörungserzählungen haben Konjunktur. Mit welchen Methoden lassen sie sich erkennen und beurteilen? Ich möchte hier an das Sieben-Punkte-Programm zur Offenlegung von argumentativen Tricks in Werbung und politischer Propaganda erinnern, die das US-amerikanische Institute for Propaganda Analysis Ende der 1930er Jahre entwickelt hat. Sie können hier Orientierung bieten.
1. Emotionale Etikettierungen …verwenden Demagogen, um mit ihnen ihre Gegner zu kennzeichnen und zu diskreditieren. Es fallen ideologische Kampfbegriffe wie z.B. „Lügenpresse“, „Sheeple“ (für schafsköpfige, unkritische Untertanen).
2. Schillernde Allgemeinbegriffe …funktionieren wie die emotionalen Etikettierungen, nur dass mit ihnen Sachverhalte positiv verklärt werden, um Menschen emotional anzusprechen wie z.B. „glorreiche Tradition“, „hehre Rechte“.
3. Trügerische Verweise …nutzen Ideologen, um sich auf Autoritäten zu berufen, von denen sie wissen, dass ihre Zuhörerschaft sie respektiert und achtet (z.B. Religionsführer, bedeutende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler). Sie zitieren diese, sagen dabei aber nicht, ob diese ihrerseits die Meinung der Ideologen unterstützen. Sie suggerieren aber, dass dies der Fall sei.
4. Zweifelhafte Zeugen …sind herausragende Persönlichkeiten, deren Statements zu Sachverhalten zitiert werden, ohne dass ihre fachliche Expertise weiter hinterfragt würde.
5. Volkes Stimme …wird gerne zitiert, weil Ideologen wissen, dass Zuhörer leichter akzeptieren, was eine Person aus ihren Reihen sagt. Auch hier wird nicht nach der fachlichen Expertise gefragt.
6. Anhäufen positiver Argumente …ohne negative Aspekte zur Sprache zu bringen oder dem Zuhörer die Möglichkeit zu bieten, kritisch nachzuhaken.
7. Appell an das Gruppengefühl …zielt auf den Herdeninstinkt, der in allen Menschen schlummert: Der Redner verweist auf die vielen Menschen, die mit seinen Ansichten einverstanden sind, in der Überzeugung, dass die Zuhörer angesichts dessen nur zustimmen können.
Das Institute for Propaganda Analysis geht auf den Kaufhaus-Magnaten und Philanthropen Edward A. Filene (1860-1937) und den Journalisten Clyde R. Miller (1888-1977) zurück. Sie wollten mit der 1937 gegründeten Einrichtung dazu beitragen, kritische Bürger heranzubilden. Ihre Absicht war es, ihren Zeitgenossen dabei zu helfen, eine skeptische Haltung gegenüber den Einflüsterungen moderner Produkt-Werbung zu entwickeln.
Das Institute for Propaganda Analysis bestand zwar nur fünf Jahre (bis 1942), entfaltete aber große Wirkung – auch in der Politik. In den Jahren der „Great Depression“ und der nationalsozialistischen Propaganda in Deutschland erkannten viele Pädagogen in den USA den Nutzen, den die „Seven Devices“ auch für die Auseinandersetzung mit politischer Meinungsmache hatten. Die sieben Punkte fanden daher Eingang in den Unterricht vieler Schulen in den Vereinigten Staaten.
Die sieben Punkte (in der englischen Originalversion: Name-Calling, Glittering Generalities, Transfer, Testimonial, Plain Folks, Card Stacking und Bandvagon) galten aufgrund ihrer überschaubaren Zahl als leicht vermittelbar. Aber es gab auch Vorschläge, sie mit Blick auf die politische Propaganda um wenigstens drei auf zehn Punkte aufzustocken. Drei zusätzliche, in Reden, Texten und Filmen kritisch zu hinterfragende Punkte bieten sich dabei vor allem an:
Monokausale Erklärungen, mit denen – ungeachtet der Komplexität der Welt und der Psychologie menschlichen Handelns – Ereignisse „einfach“ hergeleitet werden.
Benennen von Schuldigen, denen grundsätzlich üble Absichten unterstellt werden, und die angeblich nur von wenigen Menschen wirklich durchschaut werden können – allen voran von den Ideologen, die diese Schuldigen „entlarven“.
Pauschale Urteile, also nicht weiter begründete Aussagen über Menschen und ihr Handeln.
Ob sieben oder zehn – die genaue Betrachtung der genannten Punkte kann dazu beitragen, bestimmte Tendenzen im Denken von Menschen und Gruppierungen auszumachen und aufgrund dieser Erkenntnis die eigene Haltung ihnen gegenüber zu schärfen.
Elizabeth Briant Lee, Alfred McClung Lee: The Fine Art of Propaganda Analysis – Then and Now, in: ETC. A Review of General Semantics, 36-2 (1979), S. 117-127; J. Michael Sproul: Authorship and Origins of the Seven Propaganda Devices. A Research Note, in: Rhetoric and Public Affairs, 4 (2001), S. 135-143; Thomas M. Steinfatt: Evaluating Approaches to Propaganda Analysis, in: ETC. A Review of General Semantics, 36-2 (1979), S. 157-180.