Es ist von alters her bekannt: Eine Rede kann noch so gut gestaltet und vorgetragen werden – ihre volle Wirkung entfaltet sie erst, wenn die vortragende Person die Zuhörer charakterlich überzeugt. In Rom hat Marcus Porcius Cato (234–149 v.Chr.) sein Ideal einer Rednerpersönlichkeit in die viel zitierte Formel vom „vir bonus dicendi peritus“ gefasst, also eines „ehrenhaften Mannes, der reden kann“. [1] Für ihn zählte zu der Ehrenhaftigkeit des Redners ein verantwortliches Handeln gegenüber allen anderen in der Gesellschaft. So sah dies auch Cicero. [2] Und der Redelehrer Quintilian sprach davon, dass ein Redner ein „rechtschaffener und freundlicher Mann“ (bonus et comis vir) sein müsse, [3] um wirklich glaubwürdig und erfolgreich zu sein.
Auch wir haben heute eine Vorstellung davon, was eine gute Rednerin oder einen guten Redner persönlich auszeichnen sollte, damit wir ihr oder ihm Gehör schenken und folgen. Authentizität und Integrität zählen dazu. Außerdem ist ein den Menschen zugewandtes Auftreten wichtig. All dies zeigt sich im Verhalten der Vortragenden auf der Bühne oder im persönlichen Gespräch.
Es sind vor allem zwei Grundhaltungen, mit denen Rednerinnen und Redner ihre Autorität untergraben und damit die Wirkung ihrer Vorträge erheblich einschränken:
1. Gefallsucht. Wenn Menschen bei anderen Menschen auf Biegen und Brechen Eindruck machen wollen, lassen sie sich zu einem Verhalten verführen, das ihnen letztlich schadet. So wollen sie besonders kompetent erscheinen und bringen dies in Gesprächen mit wiederholtem „Ich weiß“ zum Ausdruck. Auf die Dauer ist dies eine Killerphrase für jede Unterhaltung. Denn was möchte man einer Person noch sagen, die schon alles weiß?
Gefallsüchtige Menschen sind auch keine guten Zuhörer. In der Regel warten sie nur auf ein Stichwort, um ihrem Gegenüber ins Wort zu fallen und ihre eigene Sicht der Dinge zu schildern. Sie wollen nur einen positiven Eindruck vermitteln und merken nicht, wie sie sich im Grunde um sich selbst drehen.
Menschen, die anderen unbedingt gefallen wollen, werden auch schon deshalb nicht genau zuhören, weil sie ihre Erwiderung bereits vorbereiten, während die Menschen, mit denen sie sprechen, noch reden.
2. Rechthaberei. Mit dieser Haltung stellen Menschen die Argumente anderer zu einem Thema grundsätzlich in Frage. Auch dies geht gewöhnlich damit einher, dass die Person, die immer Recht haben muss, ihren Gesprächspartnern ins Wort fällt. Auf die Dauer ist das für den Austausch von Argumenten kontraproduktiv.
Aus diesen Grundhaltungen heraus ergeben sich Verhaltensweisen von Rednerinnen und Rednern, die mit Julian Treasure [4] als „Todsünden“ (deadly sins) der Kommunikation bezeichnet werden können:
1. Tratschen. Nichts gegen ein bisschen Tratsch und Klatsch bisweilen. Das kann durchaus originell und unterhaltsam sein. Wer es aber damit übertreibt und dadurch im Ruf steht, ein Klatschmaul zu sein, wird nicht ernst genommen.
2. Schwarzsehen. Wie jede extreme Verhaltensweise schürt sie beim Gegenüber bestenfalls Skepsis, meist aber Widerspruch. Beides schwächt das Ansehen von Vortragenden.
3. Rummäkeln. Es gibt Menschen, denen man es einfach nicht recht machen kann, was immer man sagt oder tut. Auf die Dauer werden sie feststellen, dass andere ihnen aus dem Weg gehen.
4. Ausflüchte vorbringen. Fehler können jedem unterlaufen. Menschen sollten daher zu ihren Fehlern stehen und sich nicht herausreden. Auch das gehört zur Authentizität. Gegenteiliges Verhalten vergrößert den Abstand zu anderen Menschen. Die Folge: ein Schaden fürs Image.
5. Übertreiben/Lügen. Der Weg vom Übertreiben zum Lügen ist nicht weit: Wird die Realität im einen Fall nur bewusst verzerrt, wird sie im anderen verfälscht. Bei kritischen Zuhörern schürt beides grundsätzlich Misstrauen.
6. Dogmatismus. Wer auf seiner Meinung beharrt und die Argumente anderer grundsätzlich nicht gelten lässt, schwächt seine eigene Position. Eine Kommunikation mit Dogmatikerinnen und Dogmatikern ist unergiebig und läuft sich tot.
Rednerinnen und Redner sollten sich nicht nur auf ihre Vorträge konzentrieren, sondern auch an ihre persönliche Wirkung auf die Zuhörerschaft denken. Sie hat viel mit ihrer Grundhaltung gegenüber ihrer Umgebung zu tun. Von Rednerinnen und Rednern wird heute erwartet, dass sie integer und authentisch sind. Sie sollten sich nicht für ihr Publikum verbiegen, aber ein offenes Ohr für ihre Zuhörer und Gesprächspartner haben.
[1] Dazu: Annaeus Seneca (Maior): Controversiarum liber I, pr. 9/10. – [2] Marcus Tullius Cicero: De oratore (Über den Redner), II.184. – [3] Marcus Fabius Quintilianus: Institutio oratoria (Ausbildung des Redners), VI.2,18. – [4] Julian Treasure: How to be Heard. Secrets for Powerful Speaking and Listening, Coral Gables 2017, S. 61; Treasure macht sieben „deadly sins“ aus, die sich aber zum Teil überschneiden.
Franz-Hubert Robling: „Vir bonus dicendi peritus“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Herausgegeben von Gert Ueding. Band 9. Tübingen 2009, Sp. 1134-1138. – Julian Treasure: How to be Heard. Secrets for Powerful Speaking and Listening. Coral Gables 2017.