„Zuhören“ ist ein großes Thema, und wir können die verschiedenen Arten des Zuhörens nicht über einen Kamm scheren. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob wir einem Vortrag folgen und Informationen aufnehmen oder uns in einer Gesprächssituation befinden und auf das Gesagte unmittelbar reagieren müssen.
Ich möchte mich heute mit dem Zuhören befassen, wenn wir einem Vortrag folgen.
Wir alle wissen: Es gibt eine schier unermessliche Zahl von Vortragsformen. Doch wenn wir sie genauer betrachten, lassen sie sich zwei Arten von Reden zuordnen. Es sind entweder (1) informative Reden, mit denen die vortragenden Personen Informationen an die Zuhörer weitergeben oder es sind (2) persuasive Reden (von lat. persuadere = überreden), mit denen sie die Zuhörer beeinflussen wollen.
Es hilft uns beim Zuhören, wenn wir das Grundmuster erkennen, nach dem die vortragende Person ihre Rede aufgebaut hat. Bestimmte Muster haben sich dabei als praktisch erwiesen und strukturieren die meisten Reden professioneller Sprecher. Demnach haben Vorträge vier Teile: Einleitung, These, Ausführung (Exposition) und Schluss.
In der Einleitung wollen Redner Aufmerksamkeit wecken und den Boden bereiten, auf dem sie sich während ihrer Vorträge mit den Zuhörern bewegen werden. Als Aufhänger für den Vortrag kann ein persönliches Erlebnis, eine zum Thema passende Geschichte, ein Zitat einer berühmten Persönlichkeit oder Ähnliches dienen.
Der Abschnitt, in dem die These des Vortrags präsentiert wird, ist gewöhnlich sehr kurz. Der Redner kommt in der informativen Rede hier auf sein Kernthema zu sprechen. In der persuasiven Rede ist die These gewöhnlicherweise nicht ganz so klar herausgestellt. In ihr wird an dieser Stelle erst einmal vorgetragen, warum die Zuhörer zu einem Thema eine bestimmte Haltung einnehmen sollten.
Die Ausführung/Exposition bildet den Hauptteil jeder Rede. Sie nimmt gut zwei Drittel oder mehr der Vortragszeit ein. In ihr erläutert und begründet der Redner die These, die seinen Ausführungen zugrunde liegt. In der informativen Rede erfolgt dies gewöhnlich durch Deduktion (Ableitung): Ausgangspunkt bildet eine generelle Behauptung, die dann mit Fakten untermauert wird. In der persuasiven Rede geht der Redner gewöhnlich umgekehrt – induktiv (hinleitend) – vor. Er führt zunächst seine Beobachtungen zu einem Sachverhalt auf, um dann zur Verallgemeinerung zu kommen. Auf diese Weise kann er seine Zuhörer besser lenken. In der Ausführung/Exposition ist die kritische Haltung der Zuhörer besonders gefragt. Sie sollten sich zum Beispiel fragen, ob die angeführten Beispiele und Argumente die These des Vortrags wirklich stützen, ob die Belege ausreichen, ob eventuell etwas ausgelassen wurde und warum.
Am Schluss steht in der informativen Rede eine Zusammenfassung, in der persuasiven Rede ein Handlungsaufruf („call to action“), der oft emotional ausfällt.
Zugegeben: Nicht immer sind die Vorträge, die wir zu hören bekommen, so deutlich strukturiert. Wenn sich keine Struktur erkennen lässt, empfiehlt es sich, zwei Dinge in den Blick zu nehmen: die präsentierten Fakten und die Prinzipien, nach denen diese Fakten geordnet sind. Mit ihnen können wir uns dann kritisch auseinandersetzen, um das Gehörte für uns fruchtbar zu machen.
Wenn wir uns bei einem Vortrag bewusst machen, ob es sich um eine informative oder persuasive Rede handelt und dann dem Redeaufbau folgen, können wir uns strukturiert mit dem Gesagten auseinandersetzen und die Inhalte für uns bestmöglich erschließen.
Ralph G. Nichols, Leonard A. Stevens: Are You Listening?, New York/Toronto/London 1957, S. 65-76.