„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ [1] Mit seinem berühmten Satz bringt es der österreichische Kommunikationsforscher Paul Watzlawick auf den Punkt: Was auch immer wir tun oder nicht tun –wir teilen uns dadurch unserer Umwelt mit, wir kommunizieren mit ihr (von lateinisch communicare = mitteilen). Ob wir handeln oder nicht ist dabei gleichgültig – beides sind Statements. Worte sind dafür nicht zwingend notwendig.
Wir sind oft so sprachfixiert, dass wir uns nicht bewusst machen, dass die wortlose (nonverbale) Kommunikation viel älter ist als die menschliche Sprechfähigkeit. Sie funktioniert über Zeichen, Gesten, Blicke oder andere Signale, wie wir sie noch heute in der Tierwelt beobachten können. Auch wir Menschen haben das nonverbale Kommunizieren keineswegs verlernt. Im Gegenteil: Wir haben es immer weiter verfeinert. Wir tun gut daran, uns bewusst zu machen, wie nonverbale Kommunikation funktioniert. Denn über sie machen wir uns (oft unbewusst) ein Bild von unserem Gegenüber oder teilen – umgekehrt – anderen etwas über uns mit. Die nonverbale Kommunikation umfasst:
Blickverhalten, also ob wir Blickkontakt zu unserem Gegenüber halten oder wegschauen, die Augen schweifen lassen, sie verdrehen, mit ihnen rollen.
Mimik, das heißt: Gesichtsausdrücke.
Gestik: Bewegen der Hände, Arme, Schultern und des Kopfes – seien es persönliche Eigenheiten wie ein Griff in die Haare, ein Kratzen am Kopf oder kulturell vermittelte Gesten, wie sie zum Beispiel in Italien besonders geläufig sind.
Berührungen: Ob wir beispielsweise dem Gegenüber bei einem Gespräch an den Arm fassen, jemanden umarmen, ihr oder ihm auf die Schulter klopfen.
Räumliche Distanz. Gehen wir auf jemanden zu? Wie nahe treten wir an unser Gegenüber heran? Weichen wir zurück?
Haltung. Wie wir stehen (locker oder verkrampft), wie wir dabei die Hände halten, wie wir sitzen (auf der Kante eines Stuhls oder zurückgelehnt…).
Habitus, oder anders ausgedrückt: Wie wir uns geben. Wie wir uns kleiden, ob wir Schmuck tragen oder nicht, unsere Frisur, Make-up und die vielen Dinge „am Rande“, wie Statussymbole (Automarke, technisches Equipment bestimmter Marken).
Letztlich auch unsere Stimme und unser Sprechverhalten, ob wir laut oder leise sprechen, schnell oder langsam, ob wir Pausen machen oder nicht, wie wir betonen, unser Tonfall beim Reden.
Selbst wenn wir reden, teilen wir uns unserer Umgebung nicht nur über Worte mit, sondern auch über das ganze Arsenal der nonverbalen Kommunikationsweisen. Damit verraten wir mitunter mehr über uns selbst, als uns lieb ist, etwa wenn durch bestimmte Verhaltensweisen deutlich wird, dass wir bei einem Vortrag nervös sind. Im besten Fall bringen wir beim Sprechen die verbalen und nonverbalen Komponenten unserer Kommunikation in Einklang und unterstützen das, was wir sagen wollen mit Blicken, Gesten, unserer Haltung etc. Von alters her ist es die Aufgabe von Redelehrern – den heutigen Rede-Coaches – ihren Schülern dies zu vermitteln.
Der Umstand, dass wir immer zugleich verbal und nonverbal kommunizieren, hat den Wunsch aufkommen lassen, zu bestimmen, wie hoch der jeweilige Anteil an der Wirkung von Reden und Präsentationen ist. In Fachreisen kursieren dazu überraschende Zahlen: Von 80 Prozent, ja von über 90 Prozent nonverbalen Anteilen ist die Rede. Und doch ist klar, dass es immer auch auf die Situation ankommt, wie eine Person mit ihrem Vortrag verbal und nonverbal wirkt. Dabei kommen unzählige Faktoren zum Tragen, die nur schwer in Zahlen zu fassen sind. Ganz zu schweigen davon, dass jede*r in einem Auditorium etwas anderes hört und wahrnimmt.
Konkrete empirische Studien in dem Bereich sind äußerst komplex. Ihre Ergebnisse lassen sich nicht verallgemeinern. Umso erstaunlicher ist es, dass seit Jahrzehnten vor allem unter Rede-Coaches in diesem Zusammenhang immer wieder Untersuchungen des iranisch-US-amerikansichen Psychologen Albert Mehrabian angeführt werden, um die überragende Bedeutung nonverbaler Komponenten bei Reden und Präsentationen zu unterstreichen. Mehrabian belege in seinen Arbeiten, so heißt es oft, dass im Hinblick auf die Wirkung einer Rede dem Inhalt nur ein Anteil von 7% zukomme, 93% aber den nonverbalen Komponenten Stimme (38%) und Körpersprache (55%).
Die Formel ist bestechend: 7% Anteil des Inhalts, 38% der Stimme, 55% der Körpersprache an der Wirkung eines Vortrags. Was dabei übersehen wird: Albert Mehrabian geht es in seinen Untersuchungen aus den späten 1960er Jahren nicht um Reden oder Präsentationen, sondern um sehr spezielle Kommunikationssituationen. [2] Er befasst sich damit, wie vor allem negative Gefühle in unserer westlichen Gesellschaft außerhalb von engen persönlichen Beziehungen ausgedrückt werden. Da Gefühle inhaltlich, stimmlich und körpersprachlich vermittelt werden, konzentriert er sich auf diese drei „Dimensionen“. [3] Seine Erkenntnisse lassen sich aber nicht auf andere Kommunikationsformen übertragen. Gegen diese Form der Vereinnahmung wehrt sich Albert Mehrabian mit Nachdruck.
Wir kommunizieren im Wachzustand immer und überall, mit und ohne Worte. Wodurch wir mehr Wirkung erzielen, ist schwer zu bestimmen, doch der Anteil der nonverbalen Kommunikation ist erheblich. Wenn es darum geht, uns als Rednerinnen und Redner auszubilden, sollten wir diesem Umstand immer ausreichend Beachtung schenken.
[1] Watzlawick, Beavin, Jackson: Menschliche Kommunikation, S. 53: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren.“ In der ursprünglichen englischen Version: „One cannot not communicate: Every behavior is a form of communication. Because behavior does not have a counterpart (there is no anti-behavior), it is impossible not to communicate.“ (Watzlawick, Beavin, Jackson: Pragmatics of Human Communication, S. 51). – [2] Zum Gesamtzusammenhang seiner hier einschlägigen Studien: Albert Mehrabian: Nonverbal Communication, S. 178-190; Albert Mehrabian, Susan R. Ferris: Inference of Attitudes, S. 248-252; Albert Mehrabian, Morton Wiener: Decoding of Inconsistent Communications, S. 109-114. – [3] Albert Mehrabian: Nonverbal Communication, S. 181f.
Hartwig Kalverkämper: Nonverbale Kommunikation, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Herausgegeben von Gert Ueding. Band 6. Tübingen 2003, Sp. 307-337. – Albert Mehrabian: Nonverbal Communication. Chicago/New York 1972. – Albert Mehrabian, Susan R. Ferris: Inference of Attitudes from Nonverbal Communication in Two Channels, in: Journal of Consulting and Clinical Psychology 31 (1967), S. 248-252. – Albert Mehrabian, Morton Wiener: Decoding of inconsistent communications, in: Journal of Personality and Social Psychology 6 (1967), S. 109-114. – Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson: Menschliche Kommunikation. Bern/Stuttgart/Wien 1969. – Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson. Pragmatics of Human Communication. New York 1967.